Menu
Menü
X

Die Evangelische Kirche zu Selters an der Lahn

Hier bekommen Sie einen kunsthistorischen Überblick über diese Kirche. Alle Texte sind von Dr. Verena Fuchß verfasst. Die Bilder stammen von I.H. Thiemann. Texte und Bilder sind urheberrechtlich geschützt.

Zur Turm- und Dachinstandsetzung 2020 hat die Ev. Kirchengemeinde Selters einen Förderbetrag von 45.000€ aus Mitteln der Hessischen Dorfentwicklung (IKEK) erhalten.

Die Orts- und Kirchengeschichte

Die erste urkundliche Nennung von Sel­ters an der Lahn erfolgte anlässlich einer Schen­kung an das Stift Weilburg im Jahre 1317. Der Ort selbst ent­stand jedoch bereits in kel­tischer Zeit, wie dessen Name „Saltrissa“ belegt. Er leitet sich von der la­tei­ni­schen Bezeichnung Aqua Saltare (tanzendes, sprin­gendes Wasser) her und verweist auf die Exis­­tenz von Mineralquellen, die hier aus dem Bo­den spru­delten. Im Jahre 1382 wird be­urkundet, dass eine damals be­stehende Ka­pelle in Selters von nun an zur Ge­meinde Weilburg ge­hö­ren soll, d.h. der Ort wurde vom dortigen Priester betreut. Auch nach der Reformation wurde dieser Status bei­behalten.

Siedlung und Ka­pelle lagen ur­sprünglich et­was nord­öst­lich der jetzigen Lage, jedoch brannte 1538 das gesamte Dorf ab und wurde danach erst am heutigen Standort wie­der aufgebaut. Weil die Betreuung durch den ar­beits­mäßig stark belasteten Weilburger Pfarrer zu wün­schen ließ, erstrebte der Ort nach der Zugehörigkeit zu einer anderen Pfar­rei. Die­sem Wunsch wurde von der Kirchen­ver­wal­tung im Sommer 1614 entsprochen: Selters wurde Filial­ge­meinde des Nach­bar­ortes Drom­mers­hausen. Eine kleine hölzerne Kirche wurde in Selters er­richtet, der erste Pfar­rer hieß Johann Bosen. 1630, also mitten im Dreißig­jährigen Krieg, gehörten 27 Haushal­tungen zu Selters. 1706 wird der Ort erneut von einem Feuer heim­gesucht, das die Fach­werk­kirche so schwer be­schä­digt, dass Pfarrer J. G. Hay­bach be­schloss, einen Neu­bau errichten zu las­sen. Dieser Plan wurde jedoch erst 25 Jahre später aus­geführt: Am 21. Mai 1731 wurde der Grund­stein für das heu­tige Gotteshaus ge­legt. Der Neu­bau war von dem Zimmermeister J. A. Klöckner ent­worfen worden, der u.a. auch die Tür­me der ev. Kir­che von Weil­müns­ter und der Schloss­kirche von Löhnberg ge­plant und aus­ge­führt hat.

Die Kirche von 1731

Das Kirchen­ge­bäu­de erhebt sich in­mitten des Ortes auf einem klei­nen, an­ger­ähn­li­chen Platz. Der schlicht ver­putz­te und unge­glie­derte Bau über recht­ecki­gem Grundriss bekrönt ein stattliches Krüppel­walmdach mit verschiefertem Dach­reiter. Das seg­ment­bogige Ein­gangs­portal befindet sich auf der West­seite, da­rüber erhebt sich ein quer­ovales Fens­ter. Bei­de Längs­seiten zeigen zwei hoch an­setz­en­de schma­le Rund­bo­gen­fenster, ein wei­teres findet sich auf der Ost­seite. Der Gie­bel­turm ist sehr har­mo­nisch in drei­facher Ab­stu­fung proportioniert – ty­pisch für den Bau­meister, der ja Zim­mer­mann war. Über der acht­ecki­gen La­ter­ne er­hebt sich ein Ku­gel­knauf mit einem mo­dernen, ge­schmie­deten Kreuz. Bei der letz­ten Re­novierung wur­den die Profilhölzer des Dach­aufbaues und die Fenstergewände rot abge­setzt, so dass ein schöner Farbdreiklang von wei­ßem Putz, dun­kelgrauem Schiefer und roten Ak­zenten entstand.

Das Innere

Das Innere der Kirche ist ein schlichter Saalraum mit gekehlter, hölzerner Spiegeldecke. Diese ist unterteilt in zahl­reiche längsrechteckige Felder, die mit rötlichen und blauen Farben im Stil des bäu­er­lichen Ba­rock bemalt wurden. Verschiedene Orna­mente (Ban­delwerk und Akanthus), Fruchtgehänge, blu­men­ge­füll­te Vasen und Putti sind dabei in kun­ter­bunter Mi­schung ver­tre­ten. Kein Motiv wurde dabei wie­der­holt, son­dern jede Partie zeigt ein anderes Motiv – nur der um­lau­fende, zur Wand ab­schlies­sen­de Rah­men zeigt gleich­artige Fruchtbu­ketts, die durch Vo­lu­ten mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Die Farben hal­ten sich in­ner­halb einer en­gen Pa­lette von rot, blau und weiß vor grau­em Grund. Ver­gleich­bar in Stil und Aus­füh­rung sind die Ma­lereien der Em­po­­renbrüstun­gen in der ev. Kirche zu Wein­bach.

In den Raum eingestellt ist eine auf Holzstützen ruhende Gemeindeempore von 1731 entlang der West­wand und Nordseite. Der Treppenaufgang zur West­empore sowie auch die Emporengeländer vor den Fenstern besitzen noch ihre originalen Brett­ba­lus­ter. Auch andere Ausstat­tungsobjekte stam­men aus der Bauzeit. Hier ist be­sonders die Kanzel zu nen­­nen, die sich an die Süd­ostwand an­lehnt und deren poly­gonaler Kanzel­korb acht­eckige Feld­erun­gen mit Pro­fil­leisten zeigt. Der Schall­deckel wird von Holz­bügen mit eingerollten Endungen ge­s chmückt, die zu ei­ner Kro­ne zusam­men­gefügt sind und in einem kleinen Kreuz mün­den. Auf der Un­ter­seite des Dek­kels ist eine große, ge­schnitz­te Heilig-Geist-Tau­be an­ge­bracht.

Das Gemeindegestühl wurde of­fenkundig bei der Reno­vie­rung der fünfziger Jahre nach altem Vorbild erneuert – aus der Bauzeit ent­stammen je­doch noch die Bän­ke des Al­tarbe­reichs so­wie die beiden vergitterten Ab­schrankungen, wie deren er­haltenen ge­schwungenen Band­be­schläge sowie die barocke Form der Bankstützen be­legen. Sowohl auf den Buch­ablagen der hinteren Sitzreihe wie auch auf denen der gesamten Empore sind die Zahlen der alten Sitz­num­merierung ein­ge­schnitzt. Im 18. und 19. Jahrhundert hatte jedes Ge­mein­demitglied ei­nen festen Platz in der Kirche, für den jedoch auch jährliche Abgaben bezahlt werden muss­ten.

Der kleine Altarblock besitzt eine Deckplatte mit abgerundeten Ecken aus schwarzem Marmor. Seine vordere Tritt­stufe besteht aus dem ehemaligen Grab­stein eines Pfarrers von Selters und Drom­mershausen, Johann Philipp Reutter, der 1709 mit erst 29 Jahren starb. So dauerte seine Ehe mit Anna Lou­isa, geb. Pampo, wie genau verzeichnet ist, auch nur ganze 34 Wochen.

Epitaph

An der westlichen Rück­wand ist eine kleine mar­morne In­schrifttafel ein­ge­lassen. Auch diese er­innert an einen der früheren Pfar­rer der Gemeinde, Jo­hann Philipp Däntzer, der von 1634 bis 1673 lebte.

Opferbüchse

D as am Eingang auf­ge­stellte, un­schein­bare, me­tal­lene Käst­chen mit ei­nem Schlitz für Geld­spen­den zeigt neben den üblichen Inschriften: „Ei­nen fröh­lichen Geber hat Gott lieb“ und „Op­fe­re Gott Dank“ auf der Vor­der­seite den Haupt­text „Für die armenischen Wai­sen“. Dieser macht das unauffällige Objekt zu ei­nem Über­bleibsel von geschichtlichem Wert, da es an den Völkermord an den Ar­me­­niern in den Jahren 1915-17 in der Türkei er­in­nert.

Im da­maligen Ana­to­lien siedelten lange Zeit unbehelligt eine große An­zahl christlicher Arme­nier. Wirt­schaft­liche und soziale Span­nungen führ­ten jedoch zu ei­nem Gewalt­aus­bruch während des Ers­ten Weltkriegs. Im Lauf von zwei Jahren wurden zahllose männliche Armenier durch Türken und Kur­den getötet sowie die Mehr­heit der Zi­vil­be­völkerung – vor allem Alte, Frauen und Kinder – auf Todesmärschen de­por­tiert. Vor­sich­tige Schät­zun­­gen belaufen sich auf etwa eine Mil­lion um­ge­komme­ner Men­schen. Dieser Völkermord rief großes Ent­setzen unter der euro­pä­ischen Be­völ­ke­rung hervor, obwohl die Regierungen der dor­ti­gen Län­der aus kriegs­tak­­tischen Gründen nicht ein­grif­fen. Zumindest wurde für humanitäre Projekte zu­gun­sten über­le­bender Armenier gesam­melt, wo­von die Büch­se heute noch ein schlich­tes, aber be­we­gen­des Zeug­nis liefert.

Die Orgel

In der Kirchen­chro­nik schreibt Pfarrer Senfft im Jahr 1824, dass er sich um die An­schaffung ei­ner ei­genen Orgel für sei­ne Kirche in Sel­ters bemüht ha­be. Es wa­ren bereits Dispo­si­ti­ons­vor­schläge ein­gereicht worden und die Fi­nan­zie­rung ge­si­chert, aber letzt­end­lich musste das Geld für wohltätige Zwecke ver­wendet wer­den. Ein wei­terer Versuch, im Jahr 1856 eine ge­brauchte Orgel an­zuschaffen, schlug fehl, da man meinte, dies sei unnötig für einen Ort von nur 136 Einwoh­nern. Erst 1880 durfte unter Pfarrer Karl Hermann Kröck eine gebrauch­te Orgel für 330 Mark ange­kauft werden. Sie stamm­t aus Nie­der­schelden bei Siegen und wurde vom Orgelbauer Eichhorn in Weil­mün­ster für 1069,38 Mark re­no­viert und auf ei­ner neu errichteten Or­gel­büh­ne auf­gestellt. Dem schlichten Gehäuse mit einem Drei­ecks­giebel und zwei klei­nen seit­lichen Vier­pass­öff­nungen zu­folge stammt die Or­gel wohl aus der Zeit um 1850/60. Nach circa hundert Jahren treuer Dien­ste war die Orgel sehr mit­genommen und konn­te sogar einige Jah­re nicht ge­spielt werden. Nach ihrer Re­stau­rie­rung durch die Or­gel­baufirma Förs­ter und Nicolaus (Lich) wur­de sie 1989 wieder ihrer Be­stim­mung über­geben.

Die einmanualige Orgel hat folgende Disposition: Prinzipalbass 8‘, Prin­zipal 4‘, Gedackt 8‘, Sa­li­zio­nal 8‘, Flöte 4’, Octave 2‘. Rechts der Or­gelbank sind noch die Tritte zur Be­tätigung der Or­gel­bälge, die auf dem Dachboden standen, er­hal­ten ge­blieben.

Die Kirchenglocken

Im Kirchturm hängen nach den Metallsammlungen der beiden Weltkriege, bei denen insgesamt vier ältere Glocken der Gießerei F.W. Rincker in Sinn ver­loren gingen, wieder drei Glocken. Die älteste stammt von 1921 – sie war als Einzige bei dem Glockenraub der Nationalsozia­listen übrig ge­blie­ben. Sie zeigt die Inschrift „EHRE SEI GOTT IN DER HÖHE“. Die beiden anderen Geläute wurden von der Zivilgemeinde im Jahre 1951 für 1570,50 DM vom Gussstahlwerk Bochumer Verein gekauft. Die größere Glocke besitzt die Inschrift: „DEI­NE TOTEN WERDEN LEBEN“, die kleinere: „HAL­TET AN AM GEBET“.

top